 Bis auf den bekannten Nachnamen hat Sinan Yurderi, 20, weniger mit seinem großen Bruder Savas gemein, als man zunächst vermuten könnte. Vor allem aber musikalisch verbindet die beiden praktisch nichts. Seine Musik befasst sich mit den Problemen der Arbeiterschicht undKlassenunterschieden. Vor wenigen Tagen ließ er verlauten, dass das Debütmixtape "Sohn seiner Klasse" nicht über Optik Records erscheinen werde. Über die Gründe dafür, und was seine Themen geprägt hat, sprach er als erstes mit uns.
WildstyleMag.com: Die Optik Youngstarz waren eine Art Newcomer-Abteilung bei Optik Records, die damals aus dir, deinem Schwager und deinem Cousin bestand. Wieso hatte sich dieses Thema so schnell wieder erledigt?
Sinan: Ursprünglich war das die Originalformation. Wir hatten noch geplant diese um Freunde und Leute, die uns einfach gut gefallen zu erweitern. Dann blieb es aber bei uns dreien und schließlich sind wir auseinander gegangen.
WildstyleMag.com: Bist du aus der Idee eines Youngstar-Teams raus gewachsen?
Sinan: Meine allerersten Aufnahmen, die damals im Ghetto Studio Kreuzberg entstanden, landeten auf dem Mixtape „Die John Bello Story“, welches gleich 40.000 Mal verkauft wurde. Danach hatten wir diesen Optik Youngstarz-Film im Kopf. Das Projekt stand aber unter keinem guten Stern, da wir es völlig unbedacht angegangen sind. Inzwischen fühle ich mich wirklich aus der Idee raus gewachsen.
WildstyleMag.com: Bereust du deine Parts von damals?
Sinan: Absolut. Alles was ich bis vor einem Jahr gemacht hab, hasse ich. In meinen Ohren klingt das heute furchtbar.
WildstyleMag.com: Hatte es dennoch Vorteile, auf einem so häufig verkauften Mixtape wie "John Bello Story" vertreten zu sein?
Sinan: Es hatte natürlich den großen Vorteil, dass ich mir sofort einen Namen machen konnte und auf einem bekannten Mixtape vertreten war, obwohl ich eigentlich längst noch nicht gut genug dafür war. Inzwischen glaube ich allerdings, dass es mehr Nachteile für mich hatte. Da ich Savas´ Bruder bin, wurde ich sofort abgestempelt und hatte es deswegen bestimmt schwerer als andere Newcomer mich zu repräsentieren.
WildstyleMag.com: Du erwähnst nicht gerne, dass du Savas´ Bruder bist. Warum?
Sinan: Darüber spreche ich wirklich ungerne. In Musikangelegenheiten möchte ich gar nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden. Inhaltlich mache ich etwas völlig anderes. Meine frühere Musik ist nicht mehr mit der heutigen vergleichbar. Inzwischen bin ich ein komplett anderer Mensch mit einem anderen Bewusstsein und kein Kind mehr. Deswegen habe ich mit der Vergangenheit abgeschlossen. Savas ist ganz einfach mein leiblicher Bruder, das war´s.
WildstyleMag.com: Kämpft du mit deiner eigenen Identität?
Sinan: Ja, auf jeden Fall.
WildstyleMag.com: Nun hast du im Optik-Forum verlauten lassen, dass dein Debütmixtape nicht über Optik Records, das Label deines Bruders erscheinen wird. Spielte Angst eine Rolle unterzugehen?
Sinan: Nein, überhaupt nicht! Ich denke, dass die Grundlage und die Chemie einfach nicht ganz gestimmt hat. Ich hatte nie das Gefühl, dass von Seiten Optiks Interesse an meinem Produkt oder an mir besteht. Allerdings trenne ich in dem Fall auch Savas und Optik. Savas bemüht sich auch heute noch das Beste für seine Freunde und die Familie rauszuholen. Insofern besteht kein Bruderstreit zwischen uns.
WildstyleMag.com: Ist es nicht unklug, die Möglichkeiten deines Bruders nicht zu nutzen? Warum sollte man das ausklammern?
Sinan: Ich klammer das natürlich nicht völlig aus. Er ist mein Bruder und wenn ich als Person mit meiner Musik durch eine seiner Connections profitieren kann, nehme ich das natürlich an. Dennoch ziehe ich mir nicht dieselben Klamotten an und schreibe auf einmal Battle-Texte wie er. Auch Lyrics wie, „Ich bin 20, fahre auch schon ein Lexus“, wird es bei mir nicht geben. Das wäre doch Schwachsinn.
WildstyleMag.com: Willst du für die Zukunft die Variante Optik Records in der Hinterhand behalten?
Sinan: Auch mit dem Risiko, dass es die Leute bei Optik ärgern könnte, aber ich würde nicht so viele Möglichkeiten von ihnen bekommen, wie man sich das vielleicht vorstellt. Fast alles regle ich allein mit meinen Jungs. Dass ich heute bei euch bin ist auf unseren Mist gewachsen, nicht auf den von Optik. Ich kämpfe den gleichen Kampf, wie andere Newcomer auch. Optik kommt nicht zu mir mit einer Liste an Möglichkeiten und Verbindungen. Eher war ich es der dort angerufen hat.
WildstyleMag.com: Dennoch sind die Künstler "aus der zweiten Reihe" schnell ein Begriff, sobald sie einen Vertrag bei einem der bekannten deutschen Label unterschreiben.
Sinan: Es wäre natürlich positiv für mich gewesen, wenn ich den Namen Optik hätte mit nutzen können. Ich sage aber auch ganz ehrlich, dass ich mich nicht als Teil dieser Label-Szene sehe. Die Variante mit Optik kam logischerweise in Frage, weil mein Bruder der Geschäftsführer ist. Andererseits wäre mein Name sofort in die Optik-Schublade gesteckt worden. Optik, das ist Savas, das ist cool, aber das bin nicht ich.
WildstyleMag.com: Teilst du die Befürchtung, dass man mit der Entscheidung gegen Optik deinem Bruder und dir interne Streitereien unterstellen und evtl. sogar versuchen wird, einen Keil zwischen euch zu treiben?
Sinan: Ich verstehe was du meinst, aber ich liebe meinen Bruder über alles. Es wird niemals Streit zwischen uns geben. Wäre mein Debüt über Optik erschienen, hätte ich vollstes Vertrauen zu ihm gehabt, was diese Sache angeht. Im Normallfall muss man Vertrauen erst aufbauen. Das wäre bei uns nicht von Nöten gewesen.
WildstyleMag.com: Glaubst du es wäre eher förderlich oder schädlich gewesen, wenn du das Mixtape über Optik rausgebracht hättest?
Sinan: Das ist gleichermaßen verteilt. Der Namen pusht natürlich das eigene Album, was sich positiv auf die Bekanntheit und im besten Fall auch auf die Verkaufszahlen auswirkt. Auf der anderen Seite stimmt in meinem Fall das Image nicht mit dem von Optik überein, was sich wiederum als schädlich hätte erweisen können. Wer mein Mixtape hört wird schnell merken, dass es eigentlich gar nichts mit den Optik-Platten zu tun hat.
WildstyleMag.com: Spielte bei deiner Entscheidung auch eine Rolle, dass die Fans von Optik vielleicht einfach nichts mit deiner Musik hätten anfangen können, sei es aufgrund des Images oder des Inhalt?
Sinan: Teils schon. Ich bin mir sicher, dass die Musik die ich mache für über fünfzig Prozent der Optik-Fans schwer verdaulich gewesen wäre, wobei ich mir trotzdem wünsche, dass sie meiner Musik eine Chance geben werden. Dabei geht es um Arbeiterkinder. Wir sind Arbeiterkinder! Die Leute leben in einer riesigen Traumblase, mit Goldketten und Mercedes. Ich rede über das was in der Welt passiert.
WildstyleMag.com: Hört man Songs von dir quer, fallen immer wieder Begriffe im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Klassen und Schichten. In deinen Logo hast du einen Hammer und eine Sichel. Das ist schon ein neues Bild, welches du aufmachst.
Sinan: Das ist fortschrittlich. Ich habe ein anderes Bewusstsein, ein politisches, und eine andere Weltanschauung. Ich verpacke diese Einstellung in meine Musik und heraus komme ich als Mensch. Gleichzeitig benutze ich das als mein Image. Dass das vor mir noch niemand gemacht hat, ist natürlich gut.
WildstyleMag.com: Woher kommt dieses neue Bewusstsein?
Sinan: Ich bin in einer revolutionären Arbeiterfamilie groß geworden. Mein Vater saß in der Türkei fünf Jahre im Gefängnis, weil er für eine andere und bessere Welt gekämpft hat. Ich könnte Moslem sein oder auch komplett andere Musik machen, aber ich habe herausgefunden, dass das wirklich das Beste für mich ist. Das ist das Fortschrittlichste.
WildstyleMag.com: Was genau ist das Beste für dich?
Sinan: Diese Weltanschauung ist das Beste, denn sie ist unabhängig von Religion, man muss nicht an sie glauben. Sie ist eine Theorie des Wissens.
WildstyleMag.com: Hast du den Koran gelesen und ihn hinterfragt?
Sinan: Ich hab ihn gelesen und ihn auch hinterfragt, aber ich finde jede Religion ist eine Sache des Glaubens. Entweder man glaubt daran oder eben nicht. Ich persönlich weiß lieber, als dass ich glaube, darum auch meine Einstellung, dass diese Weltanschauung fortschrittlich ist. Religion ist Privatsache.
WildstyleMag.com: Hammer und Sichel sind ein bekanntes Symbol des Kommunismus, der nachweislich schon öfters gescheitert ist in der Geschichte. Ist das fortschrittlich?
Sinan: Der Hammer steht für die Arbeit, die Sichel für die Bauern. Natürlich haben die Kommunisten das Symbol benutzt, aber im Endeffekt steht es für die Arbeiterklasse. Meine Jungs und ich sind alle Arbeitersöhne. Die Leute um uns herum sind alles Arbeiter. Deswegen benutze ich das Symbol. Zum Thema Fortschritt vertrete ich die Meinung: „Learning by doing“. Damals wussten die Menschen noch nicht, was wir heute wissen, viele haben den Kommunismus falsch verstanden.
WildstyleMag.com: Hast du als Arbeitersohn selbst schon "richtig" gearbeitet?
Sinan: Vor kurzem bin ich mit dem Zivildienst fertig geworden. Den habe ich in einem Altersheim absolviert. Das war eine schlimme Zeit und ich bin froh jetzt fertig zu sein. Unabhängig davon arbeite ich bei McDonalds um über die Runden zu kommen.
WildstyleMag.com: Wieso war die Zeit im Altersheim schlimm?
Sinan: Im Altersheim habe ich mit den Pflegern und Schwestern gearbeitet. Die Realität des Alltags, die einem dort begegnet, sowohl der Menschen als auch der Mitarbeiter, macht einen schon traurig. Es war eine gute Erfahrung insofern, dass ich jetzt weiß, welchen Beruf ich nicht ergreifen möchte. Ich habe Hochachtung und großen Respekt vor diesen Menschen, die von oben herab behandelt werden, wenig verdienen, Nachtschichten schieben, sich zu zweit auf einer Station um zwanzig Menschen kümmern und diese auf einem Band wachsen, als sei das ein Werkzeug. Die Realität dort hat mich wirklich schockiert.
WildstyleMag.com: Du hast sinngemäß einmal gesagt, dass sozialkritische Rapper oftmals Flow und Beats vermissen lassen würden, um die Hörer zu bewegen. Im Gegenzug dazu würden diejenigen, die zwar technisch weit vorne sind, kein echten Themen mehr ansprechen. Wie wirst du dein Thema jetzt umsetzen?
Sinan: Als erstes folgt mein Debütmixtape „Sohn seiner Klasse“, wofür ich alles gegeben habe, was ich im Moment drauf habe. Es hat die Qualität eines Albums, ist dennoch als Einstand gedacht. Außerdem werde ich, wenn später irgendwann wirklich mein Album folgt, noch viel weiter sein und dann wirklich durchdrehen.
WildstyleMag.com: Warum sollten die Leute dein Mixtape kaufen?
Sinan: Weil ich den musikalischen und inhaltlichen Part eng miteinander verbunden habe. Ich spreche mit meiner Musik für neunzig Prozent der Bevölkerung. Mann kann mich angreifen wie man möchte, aber wer als Arbeiter durchschnittlich 1200 Euro verdient, weiß wovon ich spreche.
(quelle:wildstylemag.com/pasu) |
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